Briefkopf - Niedersächsisches Kultusministerium - Julia Willie Hamburg

Informationen zum Neutralitätsgebot an Schulen

Die niedersächsische Kultusministerin Julia Willi Hamburg informiert in einem Schreiben vom 28. Mai 2024 über das Neutralitätsgebot an Schulen.

Informationen zum Neutralitätsgebot an Schulen

Liebe Schülerinnen und Schüler, sehr geehrteErziehungsberechtigte,

für den Unterricht an niedersächsischen Schulen und die Bearbeitung politischer Positionen sowie Diskussionpolitischer Themen gelten Regelungen, die Schülerinnen und Schüler vor Beeinflussung schützen sollen. Diese Regeln sind unabdingbar, weil sie davor bewahren, Meinungen anderer übernehmen zu müssen und somit die Meinungsfreiheit für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene garantieren. Diese Meinungsfreiheit ist elementarer Bestandteil des Grundgesetzes.

Für unsere Schulen wird damit in Verbindung mit § 3 – „Freiheit des Bekenntnisses und der Weltanschauung“ – des Niedersächsischen Schulgesetzes klar geregelt:

1) Die öffentlichen Schulen sind grundsätzlich Schulen für Schülerinnen und Schüler aller Bekenntnisse und Weltanschauungen.

(2) In den öffentlichen Schulen werden die Schülerinnen und Schüler ohne Unterschied des Bekenntnisses und derWeltanschauung gemeinsam erzogen und unterrichtet. In Erziehung und Unterricht ist die Freiheit zum Bekennen religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zu achten und auf die Empfindungen Andersdenkender Rücksicht zu nehmen.

Dieser Schutz gilt an allen Schulen Niedersachsens.

Darüber hinaus ist Ihnen und euch vermutlich bekannt, dass Lehrkräfte gemäß dem sogenannten „Beutelsbacher Konsens“ für Ihren Unterricht in den politischen Fächern bundesweit seit 1976 folgende Grundsätze zu beachten haben: das Indoktrinationsverbot, das Kontroversitäts- und das Schülerorientierungsgebot. Lehrkräfte dürfen Schülerinnen und Schülern ihre eigene Meinung nicht aufzwingen, der politische Unterricht muss ausgewogen verschiedene, auch gegensätzliche Positionen zur Geltung kommen lassen und den Schülerinnen und Schülern Kompetenzen vermitteln, um eigenständig Politikund Gesellschaft analysieren zu können.

Für diese wichtigen Grundsätze sind die Lehrkräfte sowie die Schulleitungen verantwortlich. Diese sind immer dann, wenn sich Erziehungsberechtigte und Schülerinnen und Schüler unsicher fühlen, ansprechbar, ummöglichen Verstößen auf den Grund zu gehen. Und natürlich erhalten Sie auch Unterstützung durch die Regionalen Landesämter für Schule und Bildung (Kontaktdaten unter: https://bildungsportal-niedersachsen.de/ueber-uns/rlsb).

Darüber hinaus ist Ihnen und euch sicherlich bekannt, dass für den Staat und damit auch für Beamtinnen und Beamte, wie z. B. Lehrkräfte, ein so genanntes Neutralitätsgebot gilt. Der Staat ist neutral gegenüber Parteien. Dafür gibt es einen wichtigen Grund, nämlich das Ermöglichen von Meinungsfreiheit und Demokratie.

Selbstverständlich ist in diesem Rahmen die Erziehung zur Demokratie eine Kernaufgabe aller Schulen inNiedersachsen. Mehr dazu finden Sie oder ihr im eigens dafür erstellten Beitrag auf dem Bildungsportal Niedersachsen. Informieren Sie sich unter: https://bildungsportal- niedersachsen.de/demokratiebildung/

Was ist Anlass für dieses Informationsschreiben?

Seit Dienstag, dem 21.05.2024, betreibt die AfD Niedersachsen ein Internetportal unter dem Namen „neutrale-lehrer.de“. Dort soll der Eindruck erweckt werden, diese Partei kümmere sich nun um eine echte Meinungsfreiheit und echte Demokratie an Schulen. Damit verbunden ist die Unterstellung, an unseren Schulen werde der Beutelsbacher Konsens oder das Mäßigungsgebot durch die Lehrkräfte nicht eingehalten und Schülerinnen und Schüler könnten sich nicht frei äußern. Die Schulen in Niedersachsen abererfüllen ihren Bildungsauftrag und die Demokratieerziehung nicht nur vernünftig und gewissenhaft, sondern vorbildlich.

Schulen und Lehrkräfte haben die Grundsätze des Beutelsbacher Konsenses und das Mäßigungsgebot zubeachten, sie sind aber gleichzeitig immer aufgerufen, die freiheitliche- demokratische Grundordnung zu schützen und gegen Angriffe zu verteidigen. Dies wird gewissenhaft so an den Schulen ausgeübt. Offenbar aber stört dies die AfD.

Von dieser Kampagne dürfen sich Schulen, Schülerinnen und Schüler sowie Erziehungsberechtigte nicht irritieren und nicht einschüchtern lassen.

Was ist wichtig?

Richtig ist, dass in Schule und Unterricht Meinungen und Pluralität zum Ausdruck kommen müssen  immer auch in einer kontroversen Darstellung. Es ist wichtig, demokratie- und menschenfeindliche Positionen zu thematisieren und die damit verbundenen Gefahren für den gesellschaftlichen Frieden aufzuzeigen. Gerade vor dem Hintergrund der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und menschenrechtlicher Verpflichtungen ist es aberunzulässig, aus diesem Kontroversitätsgebot oder der Neutralitätspflicht die Notwendigkeit abzuleiten, ausgrenzende oder andere menschenverachtende Positionen, die sich direkt oder indirekt gegen die im Grundgesetz garantierten Werte wenden, als gleichberechtigte legitime politische Positionen darzustellen. Bildung und insbesondere politische Bildung ist nicht in dem Sinne neutral, dass sie wertneutral wäre. Eine Kontroverse im Unterricht darf daher niemals so enden, dass sie den Schutz der Menschenwürde und den damit einhergehenden Grundsatz der Gleichheit der Menschen in Frage stellt. Denn es handelt sich hierbei um nicht verhandelbare Grundsätze des Grundgesetzes. Positionierungen von Lehrkräften, die darauf gerichtet sind, den Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, ausgrenzenden und die Menschwürde verachtenden Ansichten nicht zu folgen, sind daher nicht nur notwendig, sondern staatsbürgerliche Pflicht. Gerade in Schulen und für Lehrkräfte und für Beamtinnen und Beamte gilt, für das Grundgesetz und die freiheitliche Demokratie einzustehen und sich gegen Ausgrenzungen und gegen Verletzungen des Grundgesetzes zu positionieren. Diese Verpflichtung wird von der AfD in dem von ihr betriebenen Portal und in den dort formulierten Inhalten unterschlagen. Hier wird also ein falscher Neutralitätsbegriff unterstellt: Denn jede Neutralität muss dort enden, wo Demokratie, Menschenrechte und das Grundgesetz infrage gestellt werden. Deshalb ist das Einstehen zu unseren durch dasGrundgesetz verfassten klaren Werten kein Widerspruch zur Neutralität.

Alle Schulen geben ihren Schülerinnen und Schülern ausreichend Raum für Kritik und Meinungsfreiheit. Im Rahmen eines lebhaften, demokratischen Diskurses dürfen und sollen unterschiedliche Meinungen vorkommenund gelten gelassen werden, sofern sich diese auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen.

Sollten Sie, solltet ihr darüber in Sorge sein, so können die Schulleitungen oder die staatlichen Behörden wie zum Beispiel die Regionalen Landesämter für Schule und Bildung informiert werden. Hier erhalten Sie oder erhaltet ihrim notwenigen Fall auch Unterstützung und Beratung.

Unser Ziel ist es, gemeinsam für die Werte des Grundgesetzes und gegen Verstöße unserer freiheitlichenGrundordnung einzustehen. Dafür müssen wir zusammen achtsam sein. Im Sinne einer Demokratiebildung, die unsere Demokratie schützt und junge Menschen zur Teilhabe daran befähigt.

Mit freundlichen Grüßen

Julia Willie Hamburg